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Unsere Kinder leben genau hier und genau jetzt – Wo lebst Du?

 

Wir alle wollen dazugehören, geliebt und geschätzt werden - von unserer Familie, unserer Gemeinschaft und idealerweise von der ganzen Welt. In Wahrheit aber "inter-sind" wir ohnehin mit allen Dingen. Aber wenn wir das nicht wirklich wissen, versuchen wir, die Lücke zwischen dem Leben, das dem Anschein nach dort draußen ist, und unserem altbekannten, kleinen Ich in uns drin aufzulösen. Das ist tägliche harte Arbeit.

Martin Aylward lädt uns in diesem Text dazu ein, den sozialen Trieb und all seine Auswirkungen in unserem Körper achtsam wahrzunehmen anstelle sich von ihm treiben zu lassen oder ihn zu ignorieren oder zu vermeiden. Dies ermöglicht ein weiseres, volleres und freieres Leben.

 

 

 

Wir haben uns nicht selbst für dieses Leben entschieden. Wir haben unser Geschlecht, unsere Nationalität oder unsere Familie nicht gewählt. Wir erinnern uns nicht an unseren Anfang oder haben eine Ahnung davon, wie oder wann dieses Leben enden wird – und doch nennen wir es "mein Leben", was einen Besitz und eine Kontrolle anzeigt, die wir einfach nicht haben. Wie Bilder auf einer Kinoleinwand zieht ein Strom an Eindrücken durch unser Bewusstsein, aus dem wir Erinnerungen, Pläne und eine passende Geschichte konstruieren. Und genauso wie wir uns in der Handlung der Kinoleinwand verfangen, erscheint das Drama sehr real und persönlich, bis wir unsere Aufmerksamkeit dahin wenden, wo die Projektionen herkommen.

 

Der soziale Trieb

Wir alle möchten wertgeschätzt werden. Das ist ganz natürlich. Wir wollen, dass die Welt uns spiegelt und wir uns bestätigt fühlen. Wenn wir aufmerksam schauen, dann erkennen wir, dass wir im Wesentlichen vollständig dazugehören wollen, um uns zu entspannen – unser Schild senken zu können, im Wissen, dass wir ein Teil des Lebensstoffes sind. Dies ist unsere wahre Natur: Wir "inter-sind" mit allen Dingen. Aber wenn wir das nicht wirklich wissen, wenden wir unausweichlich viel Mühe dafür auf, unsere Beziehung mit der Welt zu verhandeln. Wir versuchen, die Lücke zwischen dem Leben, das dem Anschein nach dort draußen ist, und unserem altbekannten, kleinen Ich in uns drin aufzulösen.

Also posieren und präsentieren wir uns, bewerten unsere Leistung, messen uns an unseren Kollegen oder unserer Familie oder an allem und jedem, der die vertraute Beziehung aufrechterhalten wird.

Als junger Mann begann ich in Klöstern und Meditationsretreats, die vom modernen Leben weit entfernt scheinen könnten, die Instinkte zu erforschen. Doch trotz der Stille und der "spirituellen Atmosphäre" spielt sich das Gleich ab, denn: "Wo du auch hingehst … dort bist du." Wie auch immer die Umwelt beschaffen ist – wir sind mit unserem eigenen Geist und seinen Tendenzen konfrontiert.

Wir können unsere Sorge um soziale Anerkennung in Momenten der Befangenheit und Peinlichkeit oder genauso in Momenten erkennen, in denen wir aktiv die Aufmerksamkeit von Menschen auf uns ziehen möchten. Kinder drücken diese zwei Bewegungen sehr klar aus. Sie bedecken ihre Augen, als ob dies den prüfenden Blick der Welt blockieren würde: "Ich möchte nicht gesehen werden." Ebenso suchen sie Aufmerksamkeit, wenn sie Bestätigung wollen: "Mami, Papi, schaut mich an!" Wir alle wollen geliebt und geschätzt werden, von unserer Familie, unserer Gemeinschaft und – idealerweise – von der ganzen Welt. Es ist harte Arbeit, unaufhörlich dahin gelangen zu wollen, wo mich jeder einfach liebt und denkt, dass ich großartig bin – dann werde ich wirklich okay sein.

Wieder bist du eingeladen, dabei zuzusehen, wie sich dies abspielt, und das Bedürfnis, den Antrieb, die Ängstlichkeit zu spüren, wenn sie in deinem Körper erscheinen. Wir können den Richter und die Jury, die wir erschaffen haben, erkennen - in der Verkleidung unserer Familie, unserer Kollegen oder wer auch immer in unserem sozialen Umfeld ist. Wir stellen uns vor, was sie von uns denken, und versuchen anschließend unseren eigenen Projektionen gerecht zu werden. Das ist eine unangenehme und anstrengende Art zu leben – und doch ist es eine wesentliche Ausrichtung, die uns antreibt.

Indem wir in die Ängstlichkeit hineinspüren, erkennen wir sie als eine Projektion und fühlen den Stress, der an ihr beteiligt ist. Wir lernen, sie in Ruhe vergehen zu lassen. Wir treten aus der Projektion heraus und in die innere Ruhe und Würde unserer in diesem Augenblick gelebten Erfahrung ein – es gibt nichts, was dazukommen oder beseitigt werden müsste. Wir sind präsent, in der Erfahrung verkörpert, intim mit ihr, aber nicht in ihr verwickelt.

Ein alter Zen-Meister verwies einmal darauf, wie man mit dem sozialen Trieb frei leben kann: "Wenn du dich in Gesellschaft befindest, handle so, als wärest du allein. Wenn du allein bist, verhalte dich, als ob du in der Gegenwart eines verehrten Gastes bist."

Wenn wir uns mit den Trieben beschäftigen, stellen wir fest, dass sie von unserer Unsicherheit aktiviert werden: außerhalb von uns selbst nach der Bestätigung zu suchen, dass wir in Ordnung sind, als ob wir diese einfangen und uns so selbst mit Liebe, Aufmerksamkeit und Lob füllen könnten, um irgendwie unseren inneren Zweifel und unsere Unruhe zu beschwichtigen. Unsere Gewohnheit führt dazu, dass wir die verschiedenen Instinkte vermeiden, ihnen nachgeben oder sie unterdrücken – alles, außer sie einzulassen.

 

Die menschliche Natur

Unsere ängstlichen Wünsche zeigen das Bedürfnis, versorgt und beachtet zu werden. Stell dir vor, jemand würde an deinem Zuhause anhalten und um einen Schluck Wasser bitten. Du könntest nachdenken, wie du ihn loswerden könntest, du könntest dich unter dem Bett verstecken und vorgeben, nicht zu Hause zu sein, du könntest sagen, dass du aus irgendeinem Grund kein Wasser da hast, du könntest Dinge aus dem Fenster auf ihn werfen und ihn davonjagen. Ich weiß, das alles klingt verrückt, aber es ist genau das, was wir machen, wenn unsere Instinkte erscheinen. Wir machen alles, außer sie hereinzulassen. Aber vielleicht kannst du einfach die Tür öffnen – zuhören, was sie brauchen, ihnen einen Moment Aufmerksamkeit schenken und dich um sie kümmern und sehen, wie sie reagieren.

Wir sind ständig eingeladen, in Kontakt mit unserer Erfahrung zu kommen. Wie fühlt sich die Unruhe oder das Bedürfnis in deinem Körper an? Was will es? Wie verändert es sich, wenn du ein bisschen Raum dafür schaffst? Letzten Endes ist das, was du wirklich willst, egal wie intensiv oder neurotisch deine Reaktion auch sein mag, schlicht umsorgt zu werden und Aufmerksamkeit zu erfahren.

 

Reflexion und Selbsterforschung

Eine Art, dies zu tun, ist durch die kraftvolle Frage: Was will ich wirklich? Ob es der Wunsch nach Sicherheit, Intimität oder Bestätigung ist: Was will ich wirklich? Du könntest viele Schichten an Antworten finden. Lass sie sich durch dich bewegen und frage erneut: Okay und was will ich wirklich? Schreiben kann helfen, die Reflexion zu fokussieren. Stell dir die Frage und schreib auf, was immer dir in den Sinn kommt. Zensier dich nicht. Dann: Okay und was will ich wirklich?

Wie die Instinkte erscheinen, – und überhaupt das meiste, das wir erfahren – können wir nicht kontrollieren. Wir können sehr kleine Dinge im Leben entscheiden: ob wir jetzt weiterlesen oder uns eine Tasse Tee bereiten, dieses oder jenes zu Mittag essen. Aber der Großteil unserer Erfahrung liegt außerhalb unserer Kontrolle – was wir denken, wie wir uns fühlen, wie lange wir leben. Das Leben geschieht von allein, es fließt natürlich aus grenzenlosen Ursachen und Bedingungen. Wir können nicht viel des Inhalts wählen, aber wir können uns selbst in der Kunst üben, wie wir darauf reagieren.

Wir müssen nicht unsere Biologie unterdrücken und wir können sie nicht transzendieren. Aber wir können das Leben in ihr zunehmend voller, fließender und freier leben. Das ist die Einladung unserer Praxis.

 

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Martin Aylward

Bereits als Jugendlicher hatte Martin Aylward prägende spirituelle Erlebnisse und reiste mit 19 Jahren nach Indien, um die Meditation zu erforschen.

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